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Marla: Das Leben in Ghana verstehen wollen (2)

Während unserer 12-tägigen Bildungsreise nach Accra und Cape Coast habe ich erstmals realisiert, dass mir die Leute, mit denen ich jeden Tag in Boabeng verbringe, nach guten vier Monaten anfangen zu vertrauen. Ich heiße Marla und war als Volontärin an der Heritage Academy in Boabeng / Ghana. Hier mein Bericht, wie ich den Alltag verbringe.

In meinem Auslandsjahr habe ich angefangen zu verstehen, wieso Dinge aus bestimmten Gründen passieren und wie die Menschen in Ghana und das Land ticken.

Ehrliche Gespräche mit tiefgründigem Inhalt hatte ich anfangs in Ghana nicht oft. Dadurch, dass ich nicht in der Kultur, den Verhaltensmustern und der Gesellschaft aufgewachsen bin, war es unfassbar schwer, einen Durchblick zu bekommen.

Meine Neugier und der Wille, Dinge verstehen zu wollen, haben ein paar wenige Menschen, mit denen ich eng geworden bin, dazu gebracht, sich mir gegenüber zu öffnen und mit mir Erfahrungen und Gedanken zu teilen.

Ich habe ihnen Vertrauen geschenkt, viel Zeit mit ihnen verbracht und im Gegenzug auch Vertrauen geschenkt bekommen. Darüber hinaus habe ich so viel mehr Verständnis für die Denkweisen, gesellschaftlichen Themen und Strukturen bekommen.

Unsere Bildungsreise nach Accra und Cape Coast im November 2021 hat mich noch mehr mit der Lehrerin Modesta verbunden. Auch wenn ich dem ganzen Verstehen-wollen wahrscheinlich nur einen Bruchteil näher kam, bin ich während unserer Reise doch noch ein Stück mehr in diesem für mich fremden Land angekommen.

So viel Reis wie auf dieser Reise hatte ich zuvor auch noch nie in meinem Leben gegessen. Jeden Tag Jollof Rice (Reis in Tomatensauce) – daran kann ich mich zwar nicht satt essen, aber jede Abwechslung war mir irgendwann auch willkommen.

Gesundheitlich war ich auf unserer Reise leider nicht ganz fit. Andauernd kam – gefühlt – etwas Neues dazu: angefangen mit der Erkältung, über einen entzündeten Stich an der Wange, zu einem erst harmlosen Pickelchen am Kinn, der sich mit viel Luftfeuchtigkeit stark entzündet hat, bis zu komischen Bläschen auf meiner Haut, die einfach nur weh taten.

Boadi, Modesta und ich waren nach unserer Rückkehr in Boabeng leicht angeschlagen. Wir waren erschöpft und hatten auf der letzten Etappe in Sunyani nur noch den Wunsch, endlich nach Hause zu fahren.

Und so ging es für uns zurück nach Boabeng. Wieder eigene vier Wände zu haben, ein Klo und leckeres Essen von Ellen. Alles war wieder etwas ungewohnt, aber gab mir doch ein beruhigendes Gefühl, wieder zu Hause angekommen zu sein. Das war schön.

Mein Alltag in Boabeng

Jeder Tag mag unscheinbar gewesen sein, doch rückblickend bin ich nach siebeneinhalb Monaten wirklich in Boabeng/Ghana angekommen. Das bedeutet nicht, dass immer alles gut und einfach ist oder war.

Täglich wache ich auf, höre den Hahn, klapperndes Geschirr, mal ein vorbeifahrendes Motorrad, die Kinder machen sich fertig für den Tag, das Baby schreit, Wasser fällt in die Dusche, der Innenhof wird gefegt – und ich stehe auf, um mein zehntausendstes Ei mit Brot (egg and bread) zu futtern, was mir Ellen vorbei gebracht hat.

Ich schwinge mir mein Handtuch um, nehme die Zahnbürste in den Mund, fülle meinen Eimer mit Wasser und starte mit einer kalten Dusche in den Tag. Schnell angezogen hetze ich dann los.

„Morning, oooooo sister, ete sein“ (Twi: Wie geht es dir?) oder „Madam Marla, good morning“ werde ich auf dem Weg durchs Dorf gegrüßt.

Morgens fahre ich im Schulbus mit oder gehe zu Fuß zur Academy Schule. Je nachdem wie es zeitlich passt. Ich kenne mittlerweile meine Wege, die Straßen, Routinen und die Menschen, die mich umgeben. Durch mehr Verständnis werde ich immer mehr Teil des mir Fremden.

Nach 6 Monaten in Boabeng wollte ich länger dort bleiben

Ich kam mit der Einstellung nach Boabeng, dass ich mir sechs Monate Zeit geben werde, um hier anzukommen. Wenn’s mir bis dahin nicht gefällt, reise ich ab. Nach sechs Monaten konnte ich mir nicht mehr vorstellen, den Ort Boabeng, der mit all seinen Menschen ein neues Zuhause für mich geworden war, zu verlassen.

Im November 2021 bin ich endlich in mein finales Zuhause in Boabeng gezogen. Zuvor ist einiges passiert: Ich musste mehrmals umziehen und hatte zuletzt in Fiema, dem Nachbardorf, gelebt.

Höhen und Tiefen kamen immer wieder

  • Immer wiederkehrende Themen von Missverständnis.
  • Das Gefühl, sich nicht richtig mitteilen zu können und nicht richtig Teil zu sein.
  • Einsamkeit und das Gefühl, etwas verloren sein, verfolgten mich.
  • Wenn ich zudem auch noch krank wurde, war alles besonders schlimm.
  • Malaria habe ich übrigens auch einmal mitgemacht und problemlos bekämpft.

Doch ich wusste auch immer, dass ich aus jedem Tief wieder rauskommen werde. Entweder unternahm ich etwas, verreiste und freute mich über den neuen Input. Oder ich vertraute auf die Melodie des Lebens, und es ging von allein bergauf. Ständig passierte etwas oder stand etwas an.

Wir bekamen Besuch aus Spanien von der Forscherin Sandra, die eine Patenschaft übernommen hat, und Rudi, der den Kindern die Geige näher brachte.

Zwischendurch machte ich kurze Reisen nach Pram Pram, Accra und Kwahu und verbrachte ein sich einsam anfühlendes Weihnachten in Boabeng.

Besuch aus Berlin: Christina Plettner und ihre Tochter Luisa

Schließlich bekamen wir den lang ersehnten Besuch von Christina und Luisa, was mich so glücklich gemacht hat. Ich hatte ein Stück vertraute Heimat bei mir in Boabeng.

Zusammen verbrachten wir Zeit in Accra, wir fuhren weiter in den Norden in den Mole Nationalpark, lebten gemeinsam den Alltag in Boabeng, bevor es zurück nach Accra ging, um sich nach so kurzer Zeit wieder zu verabschieden.

Wir hatten eine super lustige, intensive, schöne Zeit zusammen und haben viel erlebt, was uns für immer verbinden wird. Nachdem ich die beiden Ladies ins Taxi gesetzt hatte, stand ich wieder allein vor dem Hostel und musste erstmal klar kommen.

Kofi zeigt mir das Leben in Boabeng

Nachdem Christi und Luisa weg sind, verbringe ich sehr viel Zeit mit Kofi. Das ist der Twi-Name für Daniel. Die Kinder nennen ihn „Teacher Yesu“. Er will mir alles zeigen, damit ich den Alltag mehr und besser kennenlernen und verstehen kann.

Wir machen den Samstagmorgen zum routinierten Fufu-Frühstück (Brei aus Maniok oder Yams und Kochbananen) in der Savior Community, er nimmt mich auf dem Motorrad in verschiedene Regionen mit. Ich komme auf seine Farm mit, um Okra-Schoten zu ernten. Später verkaufen wir sie.

Wir verbringen Zeit in Nkoranza mit seinen Brüdern, er nimmt mich überall mit. Wir fahren zum Wasserfall und haben lange, beruhigende Fahrten auf dem Motorrad. Ich kann alles fragen und bekomme überdachte Antworten.

Beerdigungen in Boabeng, Leute grüßen gehen, zusammen rumhängen, Wäsche waschen und lachen. Wasser holen, Iced Kenkey machen (gedämpfte Knödel aus fermentiertem Maismehl), Big Ooo trinken und noch mehr rumhängen.

Kirchengemeinde mit großem Zusammenhalt

Die Heritage Schule ist etwa 15 Minuten zu Fuß von Boabeng entfernt. Man läuft über eine rote Buckelstraße, die durch den Wald führt, und kommt in der Savior Community an, wo Kofi aufgewachsen ist. In dieser Gemeinde leben nur Mitglieder der Savior Church. Viele Kinder aus dieser Gemeinde gehen in die Heritage Schule.

Die Savior Church ist eine Kirchengemeinde, wie ich sie nur aus Filmen kenne: feste Rituale, weiße Gewänder für die Männer, farbenfrohe Kleider für die Frauen, Gottesdienst und Sabbath am Samstag. Höchster Respekt, ein eigenes System mit eigenen Regeln und eigener Moral.

Ein krasses Gefühl der Zusammengehörigkeit, begleitet von Musik, die wirklich eine Atmosphäre schafft, wenn man live dabei ist.

Jedes Mal, wenn ich dort ankam, grüßen mich die Leute herzlichst, und ich wurde immer zum Essen oder zu einem kurzen Plausch eingeladen. Aufgenommen wie eine Schwester durfte ich mich überall wohl fühlen.

Justina und Modesta werden meine Freundinnen

Fast täglich verbringe ich die Zeit nach der Schule mit den Lehrerinnen Justina und mit Modesta und deren Kindern Jessi und Lucy. Anfangs waren sie „nur“ meine Kolleginnen in der Schule, mittlerweile sind wir wie Schwestern.

Ich bin Teil ihres Alltags, hänge mit ihnen rum, sitze dabei, wenn sie kochen, mache mit Jessi Hausaufgaben und schmeiße Lucy in die Luft.

Ich bekomme Stimmungen mit und weiß, wenn etwas schief läuft – auch wenn es nicht ausgesprochen wird. Wir gucken fern, gehen los, um Kekse im Shop zu kaufen, und leben das Leben.

Mal esse ich mit ihnen, was ich immer sehr genieße. Aber meistens gehe ich abends zu Ellen nach Hause. Dort treffe ich auch Ante und Dada an, wenn sie von der Farm nach Hause kommen. Ellen ist noch beim Kochen oder zählt schon die Schüsseln.

Ich sitze da, wir quatschen rum, lachen, sind miteinander. Ich schnappe mir die Kids, wir albern rum, meine Haare werden in alle Richtungen gezogen, und ich genieße es jedes Mal, in einen ausgelassen Haushalt zu kommen, in dem ich wie eine Tochter geliebt werde und wie eine Schwester aufgenommen wurde.

Täglich werde ich mit Essen umsorgt: „Du musst alles aufessen“ (You have to eat all) – das ist Ellens Standardspruch, bevor sie mir mein Essen hinstellt.

Wenn ich zuvor Boadi auf ein kleines Getränk getroffen habe, ist das auch kein Problem. Denn Appetit habe ich immer.

Nach dem Essen mache ich noch meine kleine Runde durch den Ort. Mal treffe ich Boadi an der Ecke, wir zischen noch ein Bierchen und quatschen über das Leben.

Oder ich gehe – wie ganz oft unter der Woche – zu Justina und Modesta und entspanne noch eine Runde in deren Gesellschaft. Zwischen 20 und 21 Uhr setze ich mich noch eine Runde an den Network-Baum und liege dann spätestens um 22 Uhr im Bett.

Früh schlafen gehen und früh aufwachen. So ist der Rhythmus hier in Boabeng.


Text und Fotos von Marla

Unsere Volontärin Marla war 2021/2022 in der Heritage Schule:
– Erfahrungsbericht über Boabeng/Ghana (1)
– Erfahrungsbericht über Boabeng/Ghana (3)

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